Paulus-Gemeinde Berlin-Neukölln
Berlin - Neukölln - Kranoldplatz 11
aktuell - Interview mit Pastor Rainer Kempe
Interview mit Pastor Rainer Kempe
Lieber Rainer, Ende April gehen für Dich mehr als 35 Jahre
des aktiven Pfarrerdienstes zu Ende. Mit was für Gefühlen
gehst Du in diese letzten Wochen?
Zuerst mit einem Gefühl
großer Dankbarkeit: Dass Gott
mir die Möglichkeit und die
Kraft gegeben hat, in den
Gemeinden und weiteren
Bereichen unserer Kirche zu
arbeiten und an
Entscheidungen und
Entwicklungsprozessen
mitzuwirken. Ich denke da
besonders an die insgesamt
acht Jahre als Jugendpastor in
den Kirchenbezirken
Westfalen und Hessen-Nord
sowie an die übergemeindliche
kirchenmusikalische Arbeit.
Und dann ist da natürlich das
Abschiednehmen: Dieses und
jenes habe ich in den
vergangenen Monaten als
Pfarrer zum letzten Mal
gemacht. Das ist Erleichterung
und Wehmut zugleich.
Mehr als 16 Jahre warst Du unser Pfarrer in Neukölln. Das ist
eine lange Strecke, Du kennst jede Verästelung der Paulus-
Gemeinde. Was ist für Dich der größte Schatz, den die
Gemeinde hat?
Das sind die vielen wunderbaren Menschen, die in der Paulus-
Gemeinde mitarbeiten und das Gemeindeleben mitgestalten. Die
ihre Gaben einbringen, mit ihrem Geld, ihrer Kreativität und
Arbeitskraft und nicht zuletzt mit ihrem Gebet. Die mich und
meine Arbeit auch mit allen Fehlern mitgetragen haben. Das alles
auf dem Fundament eines festen christlichen Glaubens und
lutherischen Bekenntnisses. Die gegenseitige Annahme und das
Leben aus dem Zuspruch der Vergebung. Die Bereitschaft, auch
Neues zuzulassen und auszuprobieren. Und dann ist da die faire
und offene Gesprächs- und Diskussionskultur. Die wünsche ich
mir für alle Bereiche unserer Kirche und Gesellschaft.
Und andersherum: Gab es etwas, was Dich immer gestört
hat, wo Du denkst: Leute, hier müsst ihr echt mal ran.
Das sind vor allem die vielen Namen in der Gemeindekartei,
hinter denen Menschen stehen, die sich überhaupt nicht am
Gemeindeleben beteiligen. Zu denen ich auch hier in den Jahren
keinen Kontakt und keinen Zugang bekommen habe. (Das gibt es
übrigens in allen Gemeinden, in denen ich gearbeitet habe.)
Diese Arbeit war im pfarramtlichen Alltag leider nicht zu leisten.
Vielleicht habe ich das auch immer vor mir hergeschoben, weil zu
befürchten war, dass dabei viel Frust herauskommt.
In Deinen letzten Dienstjahren warst Du zusätzlich Pfarrer
unserer Gemeinde in Fürstenwalde. War es eigentlich
schwer, sich parallel auf eine zweite Gemeinde
einzulassen?
Es war eine zusätzliche Herausforderung: Die weiten
Fahrten, z.T. bis ins Oderbruch. Eine Gemeinde zu versorgen
und zu begleiten, in der zum ersten Mal in ihrer Geschichte
ihr Pfarrer nicht mehr vor Ort wohnt und mit diesen
Verlustgefühlen umzugehen. Den Prozess der
Zusammenführung in einen gemeinsamen Pfarrbezirk zu
steuern. Dankbar bin ich für alles Verständnis sowie den
Rückhalt und die Solidarität in den Kirchenvorständen und
Gemeinden.
Du warst in all den Jahren nicht nur im Dienst einer
Gemeinde, sondern hast natürlich auch die Entwicklung der
SELK miterlebt, bist bis heute Leitender Obmann im
Posaunenwerk unserer Kirche. Welche Gedanken hast Du,
wenn Du an die Entwicklung Deiner Kirche denkst? Was sind
ihre Schätze, was sind ihre Baustellen?
Der größte Schatz unserer Kirche ist ganz sicher die Bindung
an die Heilige Schrift und das lutherische Bekenntnis. Und
die vielen Menschen, die ihre Gaben einbringen und sich in
ihr engagieren, besonders im Ehrenamt. Eine ständige
Herausforderung sehe ich darin, die Botschaft des
Evangeliums zeitgemäß zu verkündigen und ins tägliche
Leben umzusetzen. Leider findet unsere Kirche dabei nicht
immer akzeptable Antworten auf die Fragen unserer Zeit und
Gesellschaft. Dadurch kehren zahlreiche, besonders junge
Menschen unserer Kirche den Rücken, leider! Dazu kommt,
dass unsere Kirche immer weniger Gemeinsamkeiten mit den
evangelischen Kirchen hat. Das führt in eine Separation.
Dabei haben wir doch von der Reformation her ein
gemeinsames Erbe. Das sollten wir, wo immer es geht, in
Wort und Tat umsetzen.
Zusammen mit Deiner Frau zieht es Dich jetzt nach
Wittingen in Niedersachsen. Ihr tauscht die Stadt gegen
das Land, die 3,7 Millionen-Metropole mit einem 11.000-
Einwohner-Städtchen. Hattet Ihr das Großstadtleben
satt? Hast Du konkrete Pläne für den Ruhestand?
Seit wir verheiratet sind, habe ich durch Studium, Vikariat
sowie Anfragen und Berufungen der Gemeinden immer
vorgegeben, wohin die Reise geht; dann haben wir
gemeinsam entschieden. Jetzt war Margret dran: Es ist in
Ordnung, wenn wir in ihre Heimat(-Gemeinde) umziehen. Wir
haben dort Familie, Freunde und Bekannte und werden neue
Kontakte knüpfen. Sicher werde ich als Ruheständler in die
gottesdienstliche Versorgung dort mit eingebunden werden.
Und Berlin ist ja nicht aus der Welt…
Gibt es einen Gedanken und einen Wunsch, den Du
Deiner Paulus-Gemeinde noch mit auf den Weg geben
möchtest?
Geht weiter Euren Weg unter dem Segen und der Führung
unseres Gottes! Mit einem neuen Pastor (= Hirten). Getragen
von der Liebe Gottes, wie sie sich in Jesus Christus offenbart
und wie sie durch seinen Geist unter uns ist. Seid weiterhin
ein bunter Farbtupfer in unserer Kirche!
Die Fragen stellte M. D.